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„Eine verstärkte Kooperation wird noch wichtiger“

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INTERVIEW: Am 31. Januar 2020 hat Großbritannien die Europäische Union und damit auch den EU-Binnenmarkt endgültig verlassen. Seither ist einiges passiert, zuletzt gab es in London einen Regierungswechsel. WiM hat mit Dr. Ulrich Hoppe von der AHK London über die Frage gesprochen, welche Rolle das Post-Brexit-Großbritannien als Wirtschaftsstandort spielt.

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WiM: Herr Dr. Hoppe, Sie sind seit vielen Jahren Chef der AHK Großbritannien mit Sitz in London. Welche Auswirkungen hatte der Brexit auf Sie persönlich? Wie nehmen Sie die Situation seither wahr?

Hoppe: Ich finde es natürlich persönlich sehr schade, dass sich das Vereinigte Königreich aus der EU verabschiedet hat, aber eine demokratische Mehrheitsentscheidung muss man akzeptieren. Das Land und die Menschen fühlen sich aber weiterhin als Teil Europas, und das ist beruhigend. Außerdem begegnet man keinen persönlichen Vorurteilen seit dem Brexit – was man da vereinzelt gelesen hat, sind ganz seltene Ausnahmen, die es leider überall schon immer gegeben hat.

WiM: Großbritannien war ja noch im Jahr 2016 drittwichtigster Exportmarkt Deutschlands. Wie hat sich der Wirtschaftsstandort Großbritannien für die exportstarken deutschen und bayerischen Unternehmen seit dem Brexit verändert? Gibt es Branchen, die nach wie vor besonders interessant sind?

Hoppe: Mit dem erwarteten Investitionsprogramm der neuen britischen Regierung ergeben sich insbesondere im Infrastrukturbereich sowie im Gesundheitswesen und im Energiesektor viele neue interessante Geschäftsmöglichkeiten. Ebenfalls ist das Vereinigte Königreich – trotz einer relativen Verschiebung – immer noch einer der wichtigsten Exportmärkte Deutschlands. Das sehen wir auch an dem wiedererstarkten Interesse vieler deutscher Firmen, auf dem britischen Markt aktiv zu werden.

WiM: Viele Unternehmen klagen, dass bürokratische Hürden beim Handel zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich erheblich zugenommen haben – trotz eines Handels- und Kooperationsabkommens. In welchen Bereichen sehen Sie Verbesserungsbedarf ?

Hoppe: Viele der Hürden bedingen sich durch den Austritt aus dem Binnenmarkt und der Zollunion. Deswegen wird hieran, insbesondere an den Zollformalitäten, nicht viel zu ändern sein. Manches kann vielleicht noch „elektronischer“ abgewickelt werden, aber die grundsätzlichen Formalitäten werden bestehen bleiben. In Bezug auf Standards und Normen wäre es wünschenswert, wenn das Vereinigte Königreich sich weiterhin nah an die EU anlehnt und viele europäische Regularien (wie etwa beim CEKennzeichen bereits geschehen) auch für das eigene Land auf Dauer weiter anerkennt.

WiM: Ab April 2025 benötigen Deutsche, die nach Großbritannien einreisen wollen, eine kostenpflichtige elektronische Einreisegenehmigung (ETA). Wird dies Ihrer Einschätzung nach den freien Personenverkehr weiter einschränken?

Hoppe: Ich glaube nicht, dass dies zu weiteren Einschränkungen führt, denn viele Länder auf der Welt haben solche elektronischen Einreisegenehmigungen bzw. werden sie einführen, denn diese dienen u. a. der Sicherung der jeweiligen Außengrenzen, und das ist mittlerweile auch ein Thema in ganz Europa.

WiM: Seit Juli dieses Jahres haben die Briten mit Keir Starmer einen neuen Regierungschef. Welche wirtschaftspolitischen Impulse erwarten Sie von ihm? Wird er das Vereinigte Königreich wieder näher an die EU heranführen?

Hoppe: Die neue britische Regierung will das Wirtschaftswachstum, unter anderem mit vielfältigen Investitionsprogrammen, erheblich steigern, denn sonst kann sie ihre geplanten Reformen in vielen Bereichen nicht finanzieren. Ob dies gelingt, bleibt abzuwarten, denn erwartete Wirtschaftswachstumszahlen für die nächsten Jahre liegen auch nur bei zwischen einem und zwei Prozent pro Jahr – zwar liegen diese Zahlen etwas über den deutschen Werten, aber diese sind ja mittlerweile auch kein Maßstab mehr. Der politische Wunsch nach einem „Reset“ der Beziehungen mit der EU ist zwar deutlich von dem Premierminister geäußert worden, da aber die britische Regierung bereits viele „rote“ Linien gezogen hat, bei denen sie keine Kompromisse machen möchte, bleibt abzuwarten, was am Ende möglich sein wird. Wünschenswert und notwendig ist eine enge Zusammenarbeit auf jeden Fall. Vieles wird sich aber vorwiegend, insbesondere aufgrund des USWahlErgebnisses, auf die geopolitisch notwendige Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik beziehen. Ebenfalls bedingt durch die Entwicklung in Amerika wird aber auch in Bezug auf die globale Handelspolitik eine verstärkte Kooperation noch wichtiger werden.

WiM: Man könnte die Auswirkungen des Brexits auch positiv umdeuten und deutschen Mittelständlern Marktchancen auf der Insel attestieren. Welche wären das?

Hoppe: Den Brexit positiv umzudeuten, fällt in diesem Zusammenhang schwer, aber natürlich birgt der britische Markt weiterhin viele Absatzmöglichkeiten, denn deutsche Produkte standen und stehen weiterhin „hoch im Kurs“.

WiM: Welche Risiken sollten deutsche Unternehmen bei einem möglichen Markteintritt in Großbritannien besonders im Auge behalten?

Hoppe: Der britische Markt ist ein wettbewerbsintensiver Markt und deswegen sind Marketing und Vertriebskosten nicht zu unterschätzen. Der Fachkräftemangel ist ebenfalls ein großes Problem, und da sich die Entsendung von eigenen Mitarbeitenden für den Aufbau des Marktes seit dem Brexit aufgrund der Immigrationsvorschriften erheblich erschwert hat, verstärkt sich dieses Problem noch.

WiM: Wie schätzen Sie die zukünftige Rolle Großbritanniens als Innovations- und Finanzstandort im europäischen Wettbewerb ein? Gerade bei Zukunftsthemen wie der Künstlichen Intelligenz versucht London, der EU den Rang abzulaufen, oder?

Hoppe: Da sich das Vereinigte Königreich mit dem Austritt aus der EU einen gewissen regulativen Freiraum geschaffen hat, hat es nun die Möglichkeit, flexibler ergebnisorientiert zu regulieren. Die EU hat eher die Tendenz, prozessorientiert zu regulieren, was unter Umständen kostenintensiver ist und nicht unbedingt immer zu einem besseren Ergebnis führt. Deswegen kann sich das Vereinigte Königreich gerade für die Zukunftsindustrien, aber auch für den Finanzsektor möglicherweise einen regulativen Standortvorteil erarbeiten. Aus diesem Grund hat der britische Finanzsektor auch schon seit Längerem den Wunsch nach einer regulativ einschränkenden Äquivalenzvereinbarung mit der EU aufgegeben. Dass sich das Vereinigte Königreich aber zu einem „Singapore on Thames“ entwickelt, ist unwahrscheinlich – wobei man bei Verwendung dieses Ausdrucks nicht vergessen sollte, dass Singapur auch keine völlig deregulierte Wirtschaftsstruktur hat. Wenn das Vereinigte Königreich aber regulativ leicht andere Wege geht, sollte die EU sich diese ruhig anschauen, denn manchmal gibt es von einer Konkurrenz durchaus etwas zu lernen.

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